Eierpicken
"Ganzes!"
Mit dieser, einem Trompetenstoß gleichenden Frage und Antwort eröffnen bei den Klängen der Stadtkapelle Lambrecht jeden Ostermontag um 7 Uhr zwei Frühaufsteher das traditionelle Eierpicken.
Ein wenig zaghaft noch treten die beiden in Aktion, die übrigen halten sich noch einige Augenblicke zurück, schauen zu. Der eine hält ein hartgekochtes Ei in der hohlen Hand, die Spitze nach vorn. Und der zweite stößt mit einem gleichen Ei von oben her zu. Klick, die Schale springt.
Das Ganze kehrt, jetzt treffen in umgekehrter Reihenfolge die stumpfen Eienden aufeinander. Mal geht ein Ei dabei beidseitig kaputt, manchmal auch nicht. Dann suchen beide Kontrahenten mit einem lauten "Spitz" und einem deftigen "Arsch" neue Partner. Erst wenn das Ei an Spitze und Gegenteil eingedrückt ist, wechselt es seinen Besitzer. Dies ist die Regel, nach der in Lambrecht seit ungezählten Generationen am "Pickplatz " beim Gradschank-Brunnen,"gepickt" wird.
Der gemütliche Abschluß mit Preisverleihung findet anschließend in der Grundschul-Turnhalle statt, wo man sich auch wieder am deftigen Kraftfrühstück laben kann.
Geschichtliches (Quelle: Archiv K. H. Himmler)
Wann das Eierpicken in Lambrecht erstmals durchgeführt wurde, weiß niemand, der Ursprung liegt im Dunkel der Geschichte, doch ist der Brauch, sich in der Frühe des Ostermontags auf dem "Pickplatz " zu treffen, sicher älter als hundert Jahre, wobei selbst Notzeiten ihm nichts anhaben konnten.
Seine Wurzeln hat es wie alle Osterbräuche und -Sitten in alten Mythen, die leider vielfach in Vergessenheit geraten sind. Der Ostertermin war bei Heiden und Christen der Frühlingsanfang. Anlaß für den feierlichen Abschied vom Winter und der freudigen Begrüßung des Frühlings. Das Ei als Opfergabe für Ostara, die germanische Frühlings- -und Erdgöttin, auch Schutzgottheit der Morgenröte, des Lebens und der Fruchtbarkeit, spielte dabei eine wichtige Rolle. Im Christentum wurde es als Sinnbild allen Anfangs übernommen und ist zum Symbol geworden: "Wie der Vogel aus dem Ei gekrochen, hat Jesus das Grab zerbrochen", heißt ein alter Volksspruch. Rot gefärbte Eier brachten die Germanen ihrem rothaarigen Donnergott Thor dar. Als alte Kult- -und Opferfarbe bedeutet Rot die Farbe des Blutes, der "Saft des Lebens", in vielen Ländern steht Rot für Magie und bei Christen für das reinigende Blut Jesu. Gefärbte, aber auch kunstvoll bearbeitete Eier bis hin zu ihren Nachbildungen aus kostbarsten Materialien, mit vielfältiger Symbolik bedacht, fanden in zahllose Bräuche ein. Als einer davon war das Eierpicken von Persien bis Norddeutschland überall bekannt, wobei es heute im deutschsprachigen Raum auch noch unter den Bezeichnungen "Eierditzen", "Kippen", "Dubbchen" oder "Higgen" anzutreffen ist.
In Lambrecht ist das originelle Früh-Spektakel bei alt und jung beliebt, in den letzten Jahren wieder mit steigender Tendenz, weshalb der Verkehrsverein auch jede Menge Eier bereithält. Um sie kann getrost "uff gud pälzisch" gestritten werden, wenn auch interessant wäre, wie "Spitz" und "Arsch" auf persisch klingt. Ob sich unter den Pickern jemand findet, der über entsprechende Persischkenntnisse verfügt, bleibt abzuwarten.
Dem Verkehrsverein Lambrecht ist es zu danken, daß der Brauch alljährlich neue Urständ feiert und seine Attraktivität behält und ein Weiterbestehen gesichert ist. Ein Beweis dafür sind die in den letzten Jahren ständig steigenden Teilnehmerzahlen. Besonders erfreulich ist, daß die Jugend kräftig mitpickt und manchem erfahrenen Picker die Schau stiehlt Jedenfalls sind wieder alle zum Mitmachen aufgerufen. Der gemütliche Abschluß mit Preisverleihung findet wieder in der Grrundschul-Turnhalle statt, wo man sich bei zünftiger Blasmusik auch wieder am deftigen Kraftfrühstück laben kann.
Früher !
Unter den Alten in Lambrecht gibt es Leute, die sagen, früher war beim Eierpicken alles besser. Früher, das war vor dem Krieg und eine unbekannte Zahl von Generationen davor. Damals war es eine ernste Kurzweil der Männer aus der Boweree, von den Wergen und allem, was im einstigen St. Lambrecht dazwischen und drumherum lag. Es war ein Ritual, so verbindend, daß manche nach auswärts Verzogenen das Eierpicken zum Anlaß eines Verwandtenbesuchs in ihrer Heimatstadt nahmen. Heute ist daraus ein offizielles Angebot von Stadt und Verkehrsverein geworden. Früher krähte danach in der Öffentlichkeit kein Hahn, außer daß vielleicht der unmittelbar am Pickplatz, den kein Schild als solchen auswies, wohnende Beigeordnete und Lehrer Georg Weiland einmal einen Artikel für die Ortszeitung verfaßte und darin bekannte, daß weder er noch sonst jemand wisse, seit wann vor seiner Haustür an den Ostermontagmorgen schon Eier gepickt werden. Heute ist daraus ein kleines Medienereignis geworden.
Auch ganz früher war dazu schon musikalischer Beistand angesagt. Das geschah aus Spaß an der Freud und für einen Schluck Schnaps zum Aufwärmen als Lohn. Auch heute spielt die Stadtkapelle dazu, aber - und wer könnte ihr das verdenken? - längst nicht mehr umsonst. Früher hieb und stieß, knackte und ließ knacken mit lautem "Ganzes", "Spitz" und "Arsch" jeder für sich und sein eigenes inneres Gleichgewicht. Vielleicht auch zugunsten des häuslichen Speiseplans -soweit der tüchtige Picker nach vollzogenem anschließendem ausgiebigem Frühschoppen überhaupt noch Eßbares nach Hause trug. Heute ist daraus ein Wettkampf um Urkunden und Pokale in Einzel- und Mannschaftswettbewerben geworden - es fehlt nur noch, daß man dazu wie im Fußball Tabellenstände errechnet.
Früher war jeder seines Glückes eigener Schmied, indem er seine Hühner wochenlang mit geheimen Rezepten so kalkreich fütterte, daß sie Eier mit möglichst harten Schalen legten und die dann sorgfältig noch so abkochte, daß ihre Luftblase sich tunlichst nicht unter der "Spitz" und auch nicht unter dem "Arsch" ausbildete. Das war legal. Damit waren durchaus 20, 30 und auch mehr Eier zu knacken. Wenn die Pickeier zur Steigerung ihrer Druck- und Stoßfestigkeit obendrein auch noch mit Leim oder Wasserglas präpariert wurden galt das als Schlitzohrigkeit. Verpönt und mit Prügelstrafe bedroht war nur der Versuch, Gipseier ernsthaft ins Gefecht zu bringen. Unentschuldbar war das picken mit rohen Eiern. Das Eierpicken war also nie frei von Manipulationen. Das läßt sich getrost auch jetzt noch unterstellen, wenn man hört, welche Eier-Mengen in die Wertung eingebracht werden und, will man den Charme des Brauchs nicht verderben, auch keine Möglichkeit zur wirklich wirksamen Kontrolle hat. Aber heute besteht Chancengleichheit insoweit, daß keine Pickeier mehr von zu Hause mitgebracht werden dürfen und nur noch mit denen gepickt werden darf, die der Verkehrsverein auf dem Pickplatz verkauft und deren Farbe einheitlich und bis zuletzt streng geheim ist.
Früher vollzog sich das lautstarke Eier-Spektakel in aller Frühe zwischen 6 und 7 Uhr. Weil sich 1977 dazu aber einmal das Fernsehen angesagt hatte, verschob man den Beginn um eine Stunde, und dabei ist es in der Hoffnung auf besseren Zuspruch geblieben. Auch früher gingen zwar die meisten zum Frühstück nach Hause, aber der harte Kern übte sich in einer der damals noch zahlreichen Gaststätten als Übersitzer heute ist man nach der Kür des Pickmeisters und einem kurzen Umtrunk zur Frühstückszeit zu Hause und in der Lage, den Rest des Tages noch familienfreundlich zu gestalten. Und schließlich war es früher ein fast intimer, wenn auch derber Zeitvertreib vorwiegend unter gestandenen Männern - heute bestimmen -überwiegend Kinder und Jugendliche die Szene, und die Eltern. begnügen sich mit dem Kauf und der Verwahrung der Pickeier.
Beim Lambrechter Eierpicken liegt also, wie man sieht, die Beständigkeit im Wandel. Denn die meisten, wenn nicht alle dieser Neuerungen sind immer nur deshalb eingeführt worden, weil die Ausrichter Anlaß zu Verbesserungen zu haben glaubten und die Attraktivität steigern wollten.
Einmal, 1962 war das Eierpicken sogar so weit unten, daß um seinen Fortbestand zu fürchten war. "Weil ein Eierlieferant krank geworden war", behaupteten die einen, "weil man das Honorar für die Stadtkapelle sparen wollte" sagten die anderen. Aber einige Beherzte aus der Boweree ergriffen die Initiative, der damalige Spielmannszug des TSV (aus dem die heutige Stadtkapelle hervorgegangen ist) sprang in die Bresche, mehr als hundert Picker kamen und brachten ihre eigenen Pickeier mit, kauften am Platz noch 500 dazu und bewiesen, daß auch in ihrer Generation der Sinn für das Altüberkommene noch Platz hatte. Bald anschließend trat der Verkehrsverein in die Verantwortung. Er führte 1965 als erste Maßnahme ein, daß nur noch mit den Eiern gepickt werden darf, die er auf dem Platz verkauft, damit das Eierpicken ein Spiel des Glücks und des Zufalls sei, wie es seiner Bestimmung gemäß ist.
Aber einer Versuchung haben sie in Lambrecht immer widerstanden, nämlich das Geschehen noch weiter in den Tag hinein zu verschieben und, bei dann vielleicht größerem Interesse, auszuweiten. So ist - Spitz, Arsch, Ganzes - das Lambrechter Eierpicken trotz allem ein Ereignis für Frühaufsteher geblieben und in seiner Art ohne Beispiel.